1831 – 1912
XXI.
Du kristallhelles Fenster des
Himmels!
(St. Bonavent.)
Die Flut verläuft. Schon ragen
Bergeshöhen
Weitum empor aus dunkeln
Sündflutwogen.
Die Arche kommt zum Ararat
gezogen.
Der Himmel hat erhört des
Schiffers Flehen.
Noah beeilt sich, nach dem
Land zu sehen.
Durch’s Fenster blickt er.
„Wenn mich nicht betrogen
Die Zeichen rings, so haben
sich verzogen
Die Wetter alle: laßt hinaus
uns gehen!“ –
Im Zeitenvollmaß ließ der Herr
vom Grolle
Und sänftigte die flut der
Strafgerichte,
Und blickte gnädig auf uns
sündige Wichte
Herab vom Himmelsdom. Durch
welch ein Fenster
Sah er hernieder, Er, der
Wesen Schönster?:
Das demantklare nennt sich
„Gnadenvolle!“
XXII.
Du Arche der
Gottesgeheimnisse!
(St. Ildephons.)
In heil’ges Dunkel barg der
Herr die Plane
Des Weltenbau’s die Schätze
seiner Gnade,
Die tief geheimnissvollen
Heilespfade:
als sich sein Geist berieth,
wie Er einst bahne
In Herzen sich den Weg; wie er
sie mahne,
Bedacht zu sein, daß nicht der
Nachtgeist schade. –
Doch sagt, wie heißt die
wundersame Lade,
Worein er vor des Zeitlaufs
gier’gem Zahne
Den reichen Schatz verschloß?
– Sie ist’s, die reine,
Die spiegelglatte, blanke,
unversehrte,
Die in des Engelherzens
Silberschreine
Ein Kleinod barg, das allem
Unheil wehrte:
Der Demuth Kleinod, die, dem
eitlen Scheine
Stets feind, gar sein den
Urfeind fliehen lehrte.
XXIII.
Du Endziel der Verheißungen
Gottes!
(St. Andreas Cret.)
Wer kennt des Sternenlaufs
verborg’ne Ziele?
Wer aller Meere schaurig tiefe
Gründe?
Wer dort des Abgrunds finstre,
schwarze Schlünde?
Und wer der Weisheit Plan im
Weltgewühle? –
Gerechte, ja, erquicken
Vorgefühle
Zukünftger Läuterung von aller
Sünde.
Sie schauten Ihn, das
Sühnelamm: nicht blinde,
Belog’ne Lügner, die auf
weichem Pfühle
Der Laster lind sich betteten.
– Schon deutet
Der Seher jüngster auf den
Sohn und Retter:
Da naht des Sehergeistes
Braut, die hehre:
Am Ziel ist die Verheißung;
ausgebreitet
Der Weisheit Plan. Der
Weltenbühne Bretter
Verwandeln sich; es strahlt
die neue Lehre.
XXIV.
Du unerschöpfliches Meer aller
Gnadengaben Gottes!
(St. Ephrem.)
Welch Vöglein wagt’s, die
Flüsse all und Meere,
Wenn noch so durstig, jemals
auszutrinken?
Die Wogenberge all, die
schäumend blinken,
In sich zu saugen? – Dennoch –
traut der Lehre!:
Gesetzt, daß nicht der Tod
beim Vöglein wehre,
So müßten einstmals doch die
windschnell flinken,
Die treuen Fittige zum Sand
ihm sinken,
Anstatt in’s tränkend Naß – in
trock’ne Leere. –
Doch ein Meer kenn’ ich, daß
nicht zu erschöpfen,
Weil in Unendlichkeit sein
Grund sich hüllet.
Es nennt sich Nektarmeer der
Gnadengaben.
Und ob auch tausend Segler
drin sich laben;
Millionen and’re dort den
Durst gestillet:
So können stets Milliarden aus
ihm schöpfen.
XXV.
Du königlicher Weg des
Erlösers!
(St. Bernhard.)
Des Ostens Herrscher naht.
Auf! bahnt ihm Wege!
Auf! ebnet Ihm die rauhen
Felsensteige,
Das Krummes sich zur graden
Fläche neige!
Hoch über alle Klüfte breitet
Stege! –
Doch weh, wie eifrig auch die
Hand sich rege,
Wie emsig hier der Fuß zum
Grund sich beuge:
Ach, diese Bahn, man bringt
sie nicht zur Neige,
Ob man Jahrhunderte der Müh’n
auch pflege!
Jahrtausend vier bedarf’s, bis
sie vollendet.
Wie so? warum? ist sie so
unvergleichlich? –
Gewiß! sie blinkt vom reinsten
Alabaster,
Der jedes Auge, das ihn
anstaunt, blendet.
Ist doch auf diesem Weg nur
übersteiglich
Die Kluft, die gähnet zwischen
Licht und Laster.
XXVI.
Du Pforte der Freiheit!
(St. Bonavent.)
Bethulien du des Weltalls,
arme Erde!
Wie wardst du doch zum
Spielball der Tyrannen,
Die täglich neue Fesseln dir
ersannen!
Ach, wie man rings dein grünes
Tal verheerte!
Weh, wie der Feind die
Jungfrau’n dir entehrte!
Und frech dir alle Schätze
trug von dannen!
Kein Wunder, daß dir
Blutesströme rannen
Vom rotbetränten Antlitz,
schwer versehrte! –
Doch zage nicht, ob du auch
rings umschlossen!
In größter Drängnis darfst du
Hilfe hoffen.
Noch steht dir eine
Freiheitspforte offen:
Schau, wie Judith durch sie so
unverdrossen,
So mutvoll, herrlich schön zur
Tiefe schreitet,
Und dort des Feindes Haupt dir
kühn erbeutet!
XXVII.
Du Wohnhaus der Weisheit!
(St. Justin.)
Der Weisheit Ernst ist feind
dem Weltgeräusche;
In stiller Einsamkeit nur
weilt sie gerne,
Dem geistesleeren Lustgetümmel
ferne.
Sie flieht was Nahrung ist
betörtem Fleische.
Einst wollte sie – wenn ich
mich hier nicht täusche –
Vom tiefen Sinnen ruh’n. Da
zog’s zum Sterne,
Erdkreis genannt, sie’s her,
in weite Ferne.
In Josephs Hütt’ entfloh sie
dem Getäusche
Des eitlen Scheines. Aber
hier, wo thronte
Die hohe würdig in so
schlichten Räumen?
Wie konnte hier der hehren es
gefallen? –
Wie? Wo?: neun Monde seht sie
süß verträumen
Im Herzenszelt der Reinen, die
vor Allen
Sich zu erküren es so reich
sich lohnte! –
XXVIII.
Du unbeflecktes Gewand Gottes!
(St. Method.)
Der ewig gleichen
Herrlichkeiten müde,
Beschloß der Herrscher aller
Himmelswelten,
Zu wohnen einst in niederen
Gezelten
Des Bethlehems der Sterne, das
im Liede
So schön die Erd’ sich nennet.
Lieb’ und Friede
Enttriefen seinem Schritte.
Hasses Schelten,
Es muß verstummen. Demut kann
nur gelten,
Wo Ihm zum Tempel wird ein
fromm Gemüte.
Seht, nur im schlichten
Erdenpilgerkleide
Erscheint Er, aller Himmel
höchste Wonne:
Doch rein will Er’s vom Rauch
der Sündenfackel.
Wo fand sich wohl ein solch
Gewand: der Sonne
An Reinheit gleich, an Zartheit
feinster Seide:
Und doch so schlicht? - : Sie
bot’s, die ohne Makel.
XXIX.
Du Rebe des wahren
Weinstockes!
(St. Bonavent)
Die Erde ward zum Meer der
Bitterkeiten,
Seit Eva sich an jener Frucht
vergriffen,
Die Gift verbarg durch
Schlangenlist voll Kniffen.
Nur Wermut seh’ ich Brüder
sich bereiten,
Nur Qual sich, nur sich lügen,
trügen, neiden,
Beplündern sich mit frechen
Räubergriffen,
Nur morden mit dem Stahle, den
sie schliffen.
Verschwunden waren gänzlich
Edens Freuden. –
Da schaute mitleidsvoll die ew’ge
Liebe
Zum Jammertale nieder.
Nektarsäfte
Aus ewiggrünem Weinstock bot
den Frommen
Sie zärtlich bar, zu saugen
Himmelskräfte,
Doch sagt, aus welcher Rebe
sie gekommen?:
Aus ihr, die nie aufschloß in
wilde Triebe.
XXX.
Du fruchtbarer Ölbaum im Hause
Gottes!
(St. Joh. Damasc.)
O heil’ger Baum mit
immergrünen Zweigen,
Die ew’gen Gottesfrieden uns
verkünden!
Wie wurzelst du so tief in
Edensgründen!
Wie früchtereich die Äste dir
sich neigen!
Wo ist ein Wunderbaum dir zu
vergleichen!? –
So sehr auch unsre Wunden sich
entzünden:
Sie heilen rasch von deinem
Öl, dem linden.
Vor deinem Schatten schon
Gebrechen weichen.
Zahllose Wildlinge einst um
dich standen,
Am Haus des Herrn selbst und
in allen Landen.
Da nimmt von dir ein Ästchen
zart die Taube,
Und pfropft mit lauterm Wachs
und weichen Banden
Manch Zwerglein auf die
wilden: und dem Staube
Entwächst der Lichtstoff rein
in Lieb’ und Glaube.